130. Honseler Straße 2 (Firma Brüser)
Die nördliche Giebelseite des Gebäudes, hinter welcher sich das zentrale Treppenhaus befindet, ist gekennzeichnet durch einen Mittelrisalit mit einer in Anlehnung an die Kolossalgliederung senkrecht geteilten Fensterfront. Die senkrechten Bauteile sind im oberen Bereich kapitellartig ausgebildet. Die Eisensprossenfenster sind mit einer farbigen Verglasung in jugendstilhaften Formen versehen. Die Eingangszone wird durch ein walmartiges Vordach über vier geschwungenen Konsolen betont. Die Eingangstür sowie die rechts und links angeordneten Fenster sind erneuert. In der Attikazone befindet sich eine Kartusche mit Rollwerk und der Initiale "K".
Neben der Hauptgiebelseite ist auch die westliche Traufseite durch die Ausbildung von Seitenrisaliten sowie durch zusätzliche Gestaltungselemente als Schauseite ausgebildet. Die Gestaltung der Seitenrisalite unterscheidet sich von der übrigen Fassade durch die Ausbildung des Erd- sowie des ersten und zweiten Obergeschosses zu einer formalgestalterischen Einheit. Die fensterteilenden, schmalen Eisenbetonstützen sind auch hier in Art der Kolossalgliederung durchlaufend und finden einen kapitellartigen Abschluss. Das gesamte Feld ist durch ein aufgeputztes Giebeldreieck zusammengefasst und durch weiteres, allerdings zurückhaltendes Putzdekor gestaltet. Im Erdgeschoss befinden sich drei rundbogige, vermauerte Fensteröffnungen. Der mittlere Teil der Fassade ist wie beschrieben gestaltet. Allerdings ist auch hier auf einen einfachen, kapitellartigen Abschluss der vertikalen Bauweise hinzuweisen. Über dem ersten Obergeschoss befindet sich der Schriftzug "P.Brüser & Co.GmbH". Die Fensteröffnungen im Erdgeschoss sind mit eckigem Abschluss und ebenfalls vermauert.
Die südliche Giebelseite ist einfach, durch regelmäßig angeordnete Fenster gestaltet. Alle Fassaden sind verputzt.
Auf der Ostseite befindet sich im linken Bereich ein viergeschossiger, verputzter Anbau, der knapp unter der Traufkante des Hauptgebäudes mit einem flach geneigten Dach endet. Der Anbau stammt ebenfalls aus den Jahren 1914/1915 und enthält ein weiteres Treppenhaus sowie die Sanitäranlagen. Im Bereich der Sanitäranlagen ist die Fassade ab dem ersten Obergeschoss mit eng gereihten, kleinformatigen, hochrechteckigen Fenstern, die durch ein durchlaufendes Sohlbankgesims verbunden sind, gestaltet. Im Bereich des Treppenhauses befinden sich Eisensprossenfenster, die in Größe und Teilung den übrigen Fenstern vergleichbar sind. Der seitliche Eingang zum Treppenhaus ist in den 1960er Jahren mit Erstellung eines Fahrstuhlschachtes im Zwickel von Hauptgebäude und Anbau auf die östliche Seite des Anbaues verlegt worden.
Der Fahrstuhlschacht wie auch alle übrigen, nachträglichen Anbauten ist nicht Bestandteil des Denkmals.
Das Fabrikgebäude ist bedeutend für die Stadt Lüdenscheid, weil es ein anschauliches Dokument für die Entwicklung ihrer Wirtschaftsgeschichte darstellt. Sie verdeutlicht, dass neben den traditionellen Haupterwerbzweigen der Stadt, der Drahtwaren- und Kleinindustrie, auch andere Produktionszweige das Wirtschaftsleben der Stadt geprägt haben.
Das Objekt ist weiterhin bedeutend für die Geschichte des Menschen, weil es ein wichtiges Belegstück für die Entwicklung der Industriearchitektur in Westfalen bis in die ersten Kriegsjahre hinein darstellt. Es verdeutlicht die Reformbestrebungen innerhalb der Industriearchitektur zu Beginn des 20. Jahrhunderts, die bereits auf die Schaffung einer sachlichen, zweckbezogenen Gestaltung ausgerichtet waren, ohne jedoch das bis dahin herrschende Formenchaos des Historismus zu überwinden. Sie lösten die moderne Richtung an sich aus, die dann nach dem Ersten Weltkrieg zu Stilrichtungen wie der neuen Sachlichkeit oder dem Funktionalismus führten. Das o.g. Fabrikgebäude ist in seiner Grundstruktur bereits modern und auf Sachlichkeit und Funktionalität angelegt. Gleichwohl verwendet es historistische Elemente (wie z.B. Rundbogenfenster, Risalite, Giebeldreiecke und Kartusche) und ist daher ein vorzügliches Beispiel für die sich parallel zur traditionellen Baukunst entwickelnde moderne Fabrikarchitektur.
Für die Erhaltung und Nutzung des Objektes sind wissenschaftliche Gründe zu nennen, da es für die Forschung in mehrfacher Hinsicht von Bedeutung ist. Zum einen dient es einer Aufarbeitung der Firmengeschichte von P.Brüser & Co., über die derzeit wenig bekannt ist. In diesem Zusammenhang ist auch die Verbreitung und Bewertung der Textilindustrie im märkischen Sauerland sowie ihr Einfluss auf die sozialgeschichtliche Entwicklung zu erforschen. Zum anderen dient das Objekt der weiteren Erforschung des Werkes der Elberfelder Architekten Feldberg & Stockert, insbesondere da bis heute eine umfangreiche Erfassung und Aufarbeitung der im Industriebau in Westfalen tätigen Architekten nur lückenhaft erfolgt ist.
Darüber hinaus besteht ein weiteres besonderes Forschungsinteresse an der Erhaltung und Nutzung des Fabrikgebäudes in Bezug auf die Entwicklung des Eisenbetonskelettbaues. Das Gebäude, dessen Modernität in dieser Konstruktionsweise Ausdruck findet, ist eines der frühen und zugleich wohl seltenen Beispiele der weiter entwickelten Eisenbetonskelettbauweise, das im westfälischen Raum nach heutigem Kenntnisstand erhalten ist. Die Eisenbetonskelettbauweise nahm ihre Anfänge 1895 in Amerika mit der Fabrik der Pacific Coast Borax in Bayonne, New Jersey, von dem Architekten Ernest L.Ransome. Erstmals 1903 erschien das Eisenbetonskelett, das zunächst hinter einer tragenden Außenwand verborgen war, in der Fassade und ergab die Gliederung der Felder, die dann mit Glas oder Glas und Backstein ausgefacht wurden. Die Eisenbetonskelettbauweise war den Stahlskelettbauten durchaus ebenbürtig. Ihr Anwendungsgebiet erstreckte sich auf alle Gebiete des mehrgeschossigen Hochbaues. Eine vollständige Erfassung der Eisenbetonskelettbauten liegt jedoch für den westfälischen Bereich für die Zeit einschließlich des Ersten Weltkrieges noch nicht vor. Insbesondere ist hier zu Beginn der Übergangszeit von der historistischen zur modernen Architektur gekennzeichnet durch Mischkonstruktionen, bei welchen moderne Innenkonstruktionen noch hinter in der Konstruktion sowie der Gestaltung traditioneller Fassaden versteckt wurden. Die reiche Skelettbauweise mit ihrer rasterförmigen Fassadenteilung tritt zu dieser Zeit erst zögerlich in Erscheinung. Umso größere Bedeutung kommt dem hier in Rede stehenden Objekt für die frühe Eisenbetonskelettbauweise und ihre weitere wissenschaftliche Erforschung zu.