193. Honseler Straße 69 (St. Petrus und Paulus)

Denkmalumfang:

Denkmalwert ist der gesamte Kirchenbau mit seiner Erstausstattung. 

Hintergründe: Kurzüberblick zum Kirchenbau im Bistum Essen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts:

Kriegszerstörungen, Bevölkerungswanderungen und -wachstum führten nach dem Zweiten Weltkrieg zu einem regelrechten Boom im Sakralbau der Bundesrepublik Deutschland. In Nordrhein-Westfalen ist der Bestand der Pfarrkirchen aus der Zeit nach 1945 im Rahmen des Projekts „Erkennen und Bewahren. Kirchenbau der Nachkriegszeit in Nordrhein-Westfalen“ systematisch erfasst worden und bildet eine der Grundlagen für die folgende Kurzdarstellung zum Kirchenbau nach 1945 im Bistum Essen. Das Bistum Essen bildet in Westfalen-Lippe insofern eine Besonderheit, als es erst am 1. Januar 1958 aus Teilen der Bistümer Köln, Münster und Paderborn gegründet wurde, wobei der Kölner Teil auf rheinischem Gebiet liegt. Die Auswertung der Erfassungsdaten hat allerdings gezeigt, dass sich die Bistumsgründung nicht erkennbar in der Zahl der Neubauten widerspiegelt. Vielmehr liegt wie in den anderen Bistümern und Landeskirchen der Schwerpunkt der Kirchenbautätigkeit auf dem Gebiet des heutigen Bistums Essen im Zeitraum vom Beginn der 1950er Jahre bis zum Beginn der 1970er Jahre.

Anschließend nimmt die Bautätigkeit nicht zuletzt aufgrund schrumpfender Zahlen von Gottesdienstbesuchern deutlich ab. Mit der Bistumsgründung kommt es jedoch in den westfälischen Teilen zu einem deutlichen formalen Wandel der Kirchenarchitektur. So ist die erste Phase des Kirchenbaus bis zur Bistumsgründung von traditionsbestimmten Formen geprägt, wie sie im Bistum Münster und dem Erzbistum Paderborn in dieser Zeit vorherrschend waren. Ein großer Teil der Bauten aus dieser Zeit zitiert aus dem Repertoire historischer Architekturformen (Lochfassaden, Satteldächer, Segment- oder Rundbögen, Rosetten). Vorherrschende Fassadenmaterialien sind Backstein, Naturstein und Putz. Die Innenräume sind in der Regel verputzt sowie in vielen Fällen mit flachen oder leicht gewölbten Holzdecken versehen.

Es dominieren längliche Rechteckgrundrisse, in denen der Altar in einem mehr oder weniger stark separierten Altarraum oder in einer offenen und erhöhten Altarzone angeordnet ist, davor die aufgereihten Bänke für die Gläubigen mit Mittelgang. Parallel treten noch in der zweiten Hälfte der 1950er Jahren Variationen in Grundrissen und Bauformen auf. Traditionsbestimmte Motive werden mit neuartigen Elementen kombiniert, es entstehen gerasterte und großformatige Öffnungen, die teilweise auch eine Auflösung der Wände bedeuten. Bei den Grundrissen herrschen bei diesen Bauten Einheitsräume vor, die keine Unterscheidung zwischen Chorraum und Gemeinderaum mehr vornehmen. Die meisten Architekten dieser Kirchenbauten hatten ihren Bürostandort im jeweiligen Bistum Münster bzw. Paderborn.

Nach der Bistumsgründung erfolgt eine starke Hinwendung zu Architekten, die im Erzbistum Köln bauten und die in der Fachwelt als Ideengeber und Neuerer galten. Die meisten Architekten – auch der Kirchen im westfälischen Bereich des neuen Bistums – hatten nun ihren Standort im Erzbistum Köln. Es entstanden zahlreiche Bauten, die neue Ideen im Bereich der Sakralarchitektur umsetzten. Das Beispiel des Bistums Essen zeigt sehr anschaulich den Einfluss der Kirchenbauverwaltungen, der Ursache dafür ist, dass die Entwicklung des Kirchenbaus nach 1945 in den untersuchten Bistümern und Landeskirchen nicht deckungsgleich abläuft.

Die 1960er und 1970er Jahre sind vor allem durch die Heterogenität der realisierten Sakralbauten gekennzeichnet. Formal prägend sind zunächst die sogenannten Gerüstbauten, bei denen das Material und insbesondere das tragende Stahlbetonskelett entwurfsbestimmend werden und großflächige Wandöffnungen und Verglasungen im Bereich der Füllflächen bzw. Fensterbänder ermöglichen. Gerüstbauten finden sich häufig um 1960 und in der ersten Hälfte der 1960er Jahre. Bei den Grundrissen finden sich bereits um 1960 neue, zentralisierende Entwürfe, meist ausgehend von Parabel-, Trapez- oder Ellipsenformen und parallel bzw. später regelmäßige Sechseck- und Achtecklösungen sowie polygonale Grundrisse und freie Formen. Neue Vorstellungen vom liturgischen Geschehen, vor allem die durch das Zweite Vatikanische Konzil auch formal festgelegte Einbeziehung der Gläubigen in Form der „tätigen Teilnahme“ sowie die Aufwertung der Wortverkündigung, verändern zu etwa diesem Zeitpunkt auch die liturgische Konzeption: Der Altar wird in vielen Fällen in den Bereich der Gemeinde vorgezogen mit zwei- oder dreiseitiger Gestühlstellung bzw. steht mit Ambo, Priestersitz und Tabernakelstele in einer breit aufgespannten Altarzone vor einem leicht konzentrisch aufgestellten Gestühl.

Parallel zur Gerüstarchitektur entstehen Bauten, die erkennbar Zelt- oder Burgmotive umsetzen. Entwürfe lösen sich in Grundriss und Aufriss vom klassischen Schema von Dach und Wand sowie Wand und Öffnung. Gleichzeitig werden auch Baukörper als freie skulpturale Formen realisiert mit häufig unkonventionell verwendeten Materialien und bemerkenswerten statischen Lösungen. Schon ab den 1960er Jahren tritt im Bistum als neuer Bautyp das Gemeindezentrum hinzu, das veränderte Vorstellungen einer aktiven christlichen Gemeinde umsetzen möchte. Diese Bauten sind häufig demonstrativ zurückhaltend, verzichten auf Türme und weisen oft nicht-sakrale Bauformen auf. Der Kirchenraum wird zudem als veränderbarer Raum begriffen, der zu unterschiedlichen Anlässen vergrößert werden kann. Die wenigen ab den 1980er Jahren errichteten Kirchenbauten sind in vielen Bereichen durch einen weniger experimentellen Zugang gekennzeichnet.

Beschreibung des Denkmals

Kurzcharakteristik

Die Gebäudegruppe besteht aus dem eigentlichen Kirchenbau, an den im Norden die bauzeitliche Sakristei und das Pfarrhaus anschließen und im Süden ein später errichtetes  Gemeindehaus. Die Baugruppe nutzt geschickt die Hanglage aus, indem zur rückwärtigen, tieferliegenden Straße Honsel stufenfrei erschlossene, natürlich belichtete Untergeschossräume angeordnet sind (Krypta unter dem Chor, Wohn- bzw. Funktionsräume unter dem Pfarrhaus/Gemeindehaus und Garagen unter der Sakristei). Bei dem eigentlichen Kirchenbau handelt es sich um einen Längsbau ohne Turm.

Von der Grundidee her ist der Kirchenraum als Sechseck umgesetzt, aus dem der separate Chorraum herausgezogen ist, wobei dessen beide seitliche Wände einzogen und komplett in Glasstreifen aufgelöst sind. Die Fassaden des verputzten Mauerwerksbau mit kontrastierenden großflächigen Verschieferungen wirken kompakt, auch durch die schlitzartigen Fenster. Letztere führen zu einer sparsamen, sorgsam akzentuierten Belichtung des Inneren. Neben den Fensterschlitzen prägt vor allem die hölzerne Dachuntersicht mit der demonstrativ darunter angeordneten, auffälligen Dachbinderkonstruktion den Raum. 

Historische Entstehungsbedingungen

Der Zuzug von Ostflüchtlingen nach dem Zweiten Weltkrieg führte zu einem starken Wachstum der Lüdenscheider katholischen Kirchengemeinde St. Josef und Medardus. Als Folge entschloss man sich zur Einrichtung neuer Pfarrgemeinden in den Neubaugebieten. Als dritte katholische Kirche im Stadtgebiet sollte im Osten, im Gebiet Worth-Honsel-Eichholz, ein Gemeindezentrum entstehen. 1959 gründete sich ein Kirchbauverein, und die Muttergemeinde erwarb ein Grundstück am Rand des Dorfes Honsel. 1962 erhielt die neue Gemeinde, die im gleichen Jahr zur selbstständigen Pfarrei erhoben wurde, zunächst eine hölzerne Notkirche. 1965 erfolgte der erste Spatenstich für die heutige Kirche St. Petrus und Paulus.

Bezug zum Stadtraum

Der Baukomplex ist einbezogen in das städtebauliche Umfeld, ein aufgelockertes Wohnviertel, das in wesentlichen Teilen um das Jahr 1960 entstanden ist. Es ist geprägt durch zwei- und dreigeschossige, freistehende und gereihte Wohnbauten mit großen Gärten.

 

Umgebungsgestaltung

Der Baukomplex ist durch die großen umliegenden Freiflächen freigestellt und entfaltet daher trotz des Verzichts auf einen Turm städtebauliche Wirksamkeit in seinem Umfeld. Dazu trägt auch die Tatsache bei, dass die Architekten zur Honseler Straße auf einen großen Vorplatz verzichtet und die prägende Eingangsfassade nah an die Straße gerückt haben. Zur tiefer gelegenen Straße Honsel ist der Kirche ein mit Gras bewachsener Hügel vorgelagert, über dem sich die Kirche bestimmend erhebt. Altarzone Die Altarzone befindet sich in einem großzügigen Chorraum, der durch den seitlichen Einzug der Wände sowie die Erhöhung des Fußbodenniveaus um zwei Stufen vom Kirchenraum baulich abge-setzt ist (die Deckengestaltung und der Bodenbelag setzen sich aber fort). Seitlich und zur Stirnfläche des Raumes hin ist der Chor hinterfangen durch die zur Krypta hinab führenden Treppenläufe. Als Brüstung haben die Architekten im Norden, Osten und Süden des Chorbereichs umlaufende Bänke mit rückwärtig einer Reihe von Stahlrundstäben als Brüstung angeordnet.

Nach Osten schließt der Chor auf stumpfwinkliger Grundfläche, wobei sich in der Mittelachse ebenso wie an den Rändern der Rückwand jeweils ein vertikal über die gesamte Wand laufendes Schlitzfens-ter mit gliedernden Horizontalsprossen in unregelmäßigen Abständen und farbloser Strukturverglasung befindet. Durch die Auflösung der gesamten Chorseitenwände in ebensolche raumhohen vertikalen Schlitzfenster erhält der Chor im Vergleich zum Kirchenraum viel Tageslicht und wird durch diese Belichtung hervorgehoben. Die Fensterschlitze setzen sich bis ins Unterschoss in die dort befindliche Werktagskapelle in der Krypta fort. Ausstattung Die Kirche St. Petrus und Paulus besitzt eine bauzeitliche Ausstattung des Düsseldorfer Metallbild-hauers Ferdi Walther. Dazu gehören Altar, Tabernakel auf einer Stele (auf der Stele befindet sich heute ein jüngerer Tabernakel, der ursprüngliche wurde in die Werktagskapelle verlagert), Ambo, Taufe, Standkreuz, Kupferplastik „Christus inmitten der Welt“ im Chorraum hängend, Kreuzweg mit Darstellungen in Emaille (an der nördlichen Nahstelle zwischen Kirchenschiff und Chorraum) und zwei Portalplatten aus getriebenem Kupfer mit einer Darstellung der Namenspatrone St. Petrus und St. Paulus.

Eng verknüpft mit der stark durch Metallarbeiten geprägten Ausstattung Walthers sind Teile der wandfesten Ausstattung wie die sehr individuell gestaltete Brüstung der Orgelempore mit prägenden vertikalen Metallstäben oder auch die bereits erwähnte, dreiseitig um den Chorraum geführte Brüstung aus vertikalen Metallstäben, aus denen die zwölf Apostelleuchter erwachsen. Auch das bauzeitliche Gestühl ist individuell entworfen mit einer prägenden Tragkonstruktion in Stahl. Die Werktagskapelle in der Krypta wurde bauzeitlich mit Bestandteilen der Notkirche (Altar, Kreuzbild) ausgestattet. Im Rahmen einer Umgestaltung wurden diese ersetzt durch die Ausstattung der 2009 abgerissenen Lüdenscheider Kirche St. Antonius. Aus anderem Kontext stammt ebenfalls die Pietà an der südlichen Nahtstelle zwischen Kirchenschiff und Chorraum.

Die Orgel stammt von der Firma Oberlinger in Windesheim und wurde nachträglich im Jahr 1980 ein-gebaut. Nebengebäude Nördlich der Kirche schließt im Bauverband die eingeschossige Sakristei mit Flachdach an, die im Westen mit einer Reihe von schlitzartigen, raumhohen Fenster ein zentrales Gestaltungsmotiv der Kirche aufnimmt. Die Sakristei ist ebenso wie das daran im Norden anschließende Pfarrhaus Teil der Gesamtkonzeption der Architekten Gastreich/Gastreich-Moritz und zusammen mit der Kirche errichtet worden. Das Gemeindehaus mit Küsterwohnung ist hingegen abweichend von der ursprünglichen Gesamtkonzeption nicht nördlich an das Pfarrhaus angrenzend erbaut worden, sondern 1987/88 nach Entwurf des Architekten Klemens Link in deutlich abweichender Formensprache südlich an die Kirche angebaut worden. Veränderungen und Sanierungen Die Kirche St. Petrus und Paulus ist im Vergleich zu vielen anderen Kirchenbauten dieser Zeitschicht sehr gut überliefert. An Veränderungen im Außenraum sind vor allem die Neugestaltung der Vorplatz-fläche, die (reversible) Anbringung eines Kreuzes im Zentrum der straßenseitigen Fassade sowie der teilweise Neuverputz der Fassade zu nennen. Im Innern ist vor allem die erwähnte Neuausstattung der Altarzone in der Werktagskapelle (Krypta) zu nennen sowie die spätere Orgel von 1980.

Denkmalwertbegründung

Die Kirche St. Petrus und Paulus ist bedeutend für die Geschichte des Menschen, hier der Menschen in Lüdenscheid. Sie dokumentiert das Wachstum der Stadt Lüdenscheid nach dem Zweiten Weltkrieg, in dessen Folge neue kirchliche Gemeinden von der bestehenden katholischen Gemeinde abgepfarrt wurden. Die Kirche besitzt überdies eine ortsgeschichtliche Bedeutung, weil sie Zeugnis über die neue Besiedlung des Lüdenscheider Ostens um das ehemalige Dorf Honsel ablegt, in deren Kontext sie entstanden ist. Für die Erhaltung und Nutzung liegen wissenschaftliche, hier architekturgeschichtliche Gründe vor: Die Kirche St. Petrus und Paulus belegt in ihrer eigenwilligen Formgebung die gestalterische Vielfalt, die das Kirchenbauschaffen der 1960er Jahre prägt. Besonders anschaulich wird bei diesem Entwurf, wie die Architektur dieser Zeit Konstruktion, Materialität und Licht (hier in einem vergleichsweise dunklen Raum) als zentrale Gestaltungsmittel einsetzen.

Zu erwähnen sind die langen, unregelmäßigen Betonglasfensterbänder, die die Altarzone seitlich fas-sen und inszenieren, der im Zentrum der Altarwand als Akzentuierung angeordnete Lichtschlitz, die Verwendung des eigentlich im Außenraum eingesetzten Waschbetons als Fußbodenbelag in Kirchen- und Chorraum oder die auffällige Binderkonstruktion, die bewusst als Gestaltungselement mit Abstand unter das tragende Dach gesetzt ist und sich außen in der breiten, verschieferten Dachzone widerspiegelt, die wiederum selbst über die beiden Gebäuderücksprunge im Chorbereich fortgeführt wird . Die Sparrenkonstruktion ebenso wie die nach Innen überstehenden oberen Abschlüsse der Außen-wände sowie der Seitenwände der Orgelempore zeigen einen spielerischen Umgang mit Gestaltung, der auf spätere Entwicklungen der Architektur vorausweist. Die gestalterischen Neuerungen von St. Petrus und Paulus gehen mit einer Ordnung im Sinne tradierter vorkonziliarer Längsbauten einher sowie einer im Untergeschoss befindlichen Krypta, die als Werktagskapelle genutzt wird.

Damit legt dieser Bau Zeugnis über das Nebeneinander von traditionsbestimmten und neuen Elementen ab. Die Kirche ist insgesamt sehr gut überliefert und so auch ein sehr gut ablesbares Zeugnis für das vielfältige Werk der Architekten. Für die Erhaltung und Nutzung liegen ferner künstlerische Gründe im Bereich der Ausstattung vor. Die Kirche besitzt eine homogene bauzeitliche Ausstattung vom Düsseldorfer Bildhauer Ferdi Walther, die auf das Engste mit dem Kirchenraum verknüpft ist. So finden die Metallarbeiten der Aus-stattungsstücke ihre Fortsetzung etwa in der individuell in Stahl gestalteten Brüstung der Empore oder der Brüstung des Chorraums zu den Treppenläufen zur Krypta.

In zeittypischer Weise ist die Aus-stattung in großen Teilen durch einen dienenden, sich der Architektur unterordnenden Charakter ge-prägt. Allein die Kupferplastik „Christus inmitten der Welt“ entfaltet planvoll eine prägende Wirkung und lenkt dabei ebenso wie die von den Architekten gestalteten ungewöhnlichen schlitzartigen Fenster den Blick auf die Altarzone. Nicht zuletzt liegen für die Erhaltung und Nutzung städtebauliche Gründe vor. Der Baukörper, der geschickt die Topographie des Baugrundstücks nutzt, ist über seine prägnante, plastische Formge-bung im Straßenraum präsent. Gleichzeitig spiegelt er die auch durch die liturgischen Diskussionen der Zeit begründeten Konzepte demonstrativer städtebaulicher Bescheidenheit wider. Dies reicht bis zum Verzicht auf einen vertikalen Akzent in Form eines Turms sowie den ursprünglichen Verzicht auf die Anbringung eines Kreuzes am Außenbau.